Published on June 10th, 2024 | by Simon
Photo by DWV&Inshore Rider Maya Sauer bzw. Nicolas Maruso | 0Is it Time for a European River Surf Tour? Interview with Sandro from River Surfing Thun and Heiko from Leinewelle
Do we need a European River Surfing Tour? This time we spoke with the presidents of two major river surfing associations: Sandro from River Surfing Thun (Switzerland) and Heiko from Leinewelle (Hannover, Germany). Since a few years, Thun had been hosting the “Riverjam” and the Leinewelle hosted the German Championships last year. Here’s what the two presidents think about a European River Surfing Tour.
Sandro Santschi (Thun, Switzerland)
River Surfing Thun, President
Heiko Heybey (Hannover, Germany)
Leinewelle, President
1. Warum sind Flusssurf-Contests aus deiner Erfahrung nach wichtig und welchen Impact haben sie auf die lokale Community?
Sandro: Das Rapidsurfen ist aus dem Flusssurfen entstanden. Wir – insbesondere die Schweiz oder Österreich als Binnenländer – brauchen dringend mehr Flusswellen für die wachsende Community. Die Projekte tun sich aber oft schwer, die Prozesse sind aufwändig und langwierig. Contests und Events steigern die Aufmerksamkeit und die Relevanz von Flusswellen in der öffentlichen Wahrnehmung und helfen so mit, Projekten einen positiven Schwung zu geben. Zudem ermöglichen sie gerade jungen Talenten erste Erfahrungen in der Welt des kompetitiven Surfens und helfen mit den Level zu steigern. Die Events sind auch wichtige Get-togethers für die lokalen Communities. Man kann sich mal zeigen und messen, kriegt Applaus usw.
Heiko: Großes Contest setzen natürlich ein Benchmark dessen, was gerade an Tricks möglich ist. Als „Rollmodels“ wirken die Athlet*innen und Ihre Videos weit über die eigentlichen Veranstaltungen hinaus in die Sportart insgesamt. Einen tatsächlichen „Impact“ auf die lokale Community darüber hinaus ist, aus meiner Sicht, durch einen überregionalen Contest nicht fest zu stellen. Die Entwicklung einer guten Surf-Community wird vielmehr durch die örtlich aktiven Surfer*innen voran getrieben. Dafür sind lokale Events, wie gemeinsame „Tricksessions“, Jugendsessions, Surfista Sessions (FLINTA only) und gemeinsame „Surf-, Grill- & Chillabende“ wichtiger als jeder Contest mit überregionalem Anspruch. Dennoch richten wir an der Leinewelle die Rapid Surf League aus. Ein wichtiger Grund dabei ist auch die öffentliche Wahrnehmung im Sinne unsere Sponsoren und Partner in der Region Hannover. Es wird von unseren Sponsoren eine mediale Präsenz der Leinewelle erwartet. Ein großer überregionaler Contest ist dafür ein wichtiger Baustein.
Photo: Sandro – River Surfing Thun
2. Gerry Schlegel hat mir gesagt, er fände zwei verschiedene Touren sinnvoller als eine gemeinsame in der Riversurfing und Rapidsurfing vereint sind. Für ihn sind es zwei verschiedene Sportarten. Einmal die perfekten, kraftvollen, künstlichen Maschinenwellen und auf der anderen Seite Flusswellen mit schwankenden Wasserständen welche das Surfen anspruchsvoll machen. Was ist eure Meinung dazu?
Sandro: Aus meiner Sicht ist beides denkbar. Diese Diskussion wird bei uns auch oft geführt – nicht nur bei den stehenden Wellen sondern auch bei den rollenden Wellen (Wavegarden vs. Ozean). Beide Lager haben vertretbare Argumente. Denkbar wäre auch eine Tour mit drei verschiedenen Rankings: Overall, artificial und natural. In der Schweiz haben wir mit der Edelweiss Surf Tour verschiedene Wege ausprobiert. Da aber aktuell nur vier Tourstopps (1x River, 1x Wavegarden, 2x Citywave) ist es für uns nicht sinnvoll so viele unterschiedliche Rankings zu machen. Bei einer grösseren Tour mit mehreren Stopps pro Disziplin ist aber ein getrenntes Disziplinen-Ranking sehr sinnvoll. Dennoch ist für mich ein Gesamtsieg eine wichtige Trophäe, die unbedingt vergeben werden müsste.
Heiko: Ich weiß nicht, wann Gerry Schlegel diese Aussage getätigt hat. Wahrscheinlich eher bevor die halbnatürlichen Wellen wie in Ebensee, Nürnberg und Hannover an den Start gegangen sind. Richtig ist, dass eine RapidSurf Tour, eine gewisse Qualität der Welle in einer gewissen Weise „garantieren“ sollte, damit ein vernünftiger Contest stattfinden kann. Da gibt es sicherlich Wellen, die nicht sinnvoll in eine RapidSurf Serie integriert werden können. Weil die Qualität zu sehr schwankt oder gute, „wettkampftaugliche Rahmenbedingungen“ rar oder schwer vorhersagbar sind. Aber wenn wir die letzten zwei Deutschen Meisterschaften und die RSL betrachten, die in Nürnberg, Ebensee und Hannover erfolgreich Veranstaltungen durchgeführt haben, dann fände ich hier eine Trennung in „Pumpwellen“ und „Flusswellen“ eher kontraproduktiv und für die Entwicklung des Sports ungeeignet. Gute Surfer*innen sollten in der Lage sein – und für sich auch in Anspruch nehmen – in gewisser Weise Ihre Skills an die Gegebenheiten adaptieren zu können. Auch jede Pumpwelle die ich bisher probieren durfte, hat ihren eigenen Charakter. Surfen ist für mich immer noch ein Sport bei dem ich damit lebe, was die Natur mir bietet. Ein echter Surfer meckert nicht über die Welle, sondern hat einfach Spaß mit seinen Freunden im Wasser!
Photo: DWV&Inshore | Rider Maya Sauer | Leinewelle
3. Momentan ist Contestsurfen sehr national geprägt. In der Schweiz mit der Edelweißtour, in Deutschland und Österreich die Rapidsurfleague und unabhängige Riversurfcontests in Tschechien und der Slowakei. Warum kocht da jeder sein eigenes Süppchen?
Sandro: Dies liegt in erster Linie wohl daran, dass die Sportart/Disziplin und die verschiedenen Tours und Wellen noch sehr jung sind. Das muss sich noch weiter entwickeln. Zudem haben wir in der Vergangenheit fest gestellt, dass Schweizer Athlet:innen nicht unbedingt so viel Zeit und Geld investieren wollten um international mitzusurfen. Auch hier spüren wir bei der Young Generation Veränderungen und Impulse. Das wird sich ändern.
Heiko: Ich würde sagen, Contestsurfen ist nicht nur „national“, sondern fast noch „regional“ geprägt. Dass jeder „sein eigenes Süppchen kocht“ empfinde ich nicht als Nachteil. Die Surfcommunitys befinden sich aktuell noch in sehr unterschiedlichen Stadien. Die „jungen Flusswellencommunities“ brauchen Zeit um sich zu entwickeln. Für das Wachsen der Community ist es wichtig, das im lokalen Umfeld agiert wird. Ich finde es gut, das es mit der RSL einen nationalübergreifende Contest gibt. Ebenso, dass es eine nationale Meisterschaften gibt. Den darüber definiert und entwickelt sich letztendlich ein Verband und die Struktur, die für eine bessere Förderung benötigt wird. Aber am wichtigsten ist es meiner Ansicht nach, die lokalen Wellen zu fördern und dort lebendige Communitys mit einer guten Jugendarbeit zu entwickeln. Die Jugendarbeit ist der Schlüssel für eine wachsende, heterogene und leistungsstarke „Community“, über die sich sicherlich irgendwann weitere „Ansprüche“ entwickeln werden. Die Jugendarbeit und der Leistungssport ermöglichen die Integration in die vorhanden Sportförderstrukturen und damit erschließt sich unserem Sport eine Förderquelle, die dann letztendlich wichtig wird, um Landes-, Deutsche- oder Europameisterschaften entwickeln und durchführen zu können.
Photo: DWV&Inshore | German Championships 2023 | Leinewelle
4. Von 2005 bis 2007 hatte es mit den Bluegames schon mal den Versuch einer europäischen Flusssurftour gegeben. Tourstopps waren Bremgarten, Graz und München. Waren die Veranstalter ihrer Zeit voraus. War damals die Zeit noch nicht reif dafür?
Sandro: Das ist schwer zu sagen. Da zu dieser Zeit Flusssurfen aber noch eine absolute Nischensportart war, war es wohl schon zu früh dafür. Surfen ist per se eine sehr individuelle Sportart und nur ein Bruchteil der Surfer:innen sind an kompetitivem Surfen interessiert. Zu einer Zeit, in der die Community noch so klein war, gab es wohl schlicht zu wenig Relevanz für eine solche Tour.
Heiko: War damals die Zeit noch nicht reif dafür? Ich habe maximalen Respekt vor allen Menschen die sich die Mühe machen und eine Sportveranstaltungen organisieren. Das kostet enorm viel Zeit, Energie und letztendlich auch Geld! Die Frage impliziert, dass jetzt die Zeit „reifer“ sein könnte, um eine „Flusssurftour“, sogar über europäische Grenzen hinaus zu organisieren. Aus der Hannover Perspektive würde ich sagen, die Zeit ist „nicht reif dafür“. Nur weil es jetzt mehr halbnatürlichen Flusswellen und auch mehr kommerzielle RapidSpots gibt, sind in meiner Wahrnehmung die „Leistungträger*innen“ doch immer noch enorm ungleich verteilt. Es scheint mir aktuell wichtiger, das sich die vorhandenen lokalen Surfszenen entwickeln und Ihre Energie in Jugendarbeit und so weiter stecken. Ausserdem sehe ich weiterhin den Bedarf, die maximale Energie der „gesamten Szene“ in mehr, möglichst vereinsbetriebenen, Flusswellen zu investieren. Erst mit einer Vielzahl von lokalen Szenen auf einem ähnlichem Leistungsniveau wird sich meiner Ansicht nach die Frage nach einer größeren Conteststruktur ergeben.
5. Judging-Kriterien. Klassisch wie am Meer bis hin zum Cut to Call Format der Rapid Surf League reicht das Spektrum. Wärst du für einheitliche europäische Kriterien oder dagegen und warum?
Sandro: Auch hier ist vieles denkbar. Es wird viel diskutiert und ausprobiert. Gerade bei uns in Thun haben wir in der Vergangenheit auch mal etwas experimentiert. Ab dem Zeitpunkt einer internationalen oder europäischen Tour braucht es sicherlich einheitliche Kriterien, wobei dies nicht bedeutet, dass alle Contests das gleiche Format haben müssen. Ich kann mir gut vorstellen, dass mehrere unterschiedliche Formate existieren, diese aber in sich grenzüberschreitend vereinheitlicht sind. Hierfür braucht es dann eine Übereinkunft, einen Diskurs.
Heiko: Es liegt mir fern, über Judgingkriterien zu debattieren. Meine Meinung dazu ist, dass sich die Surfvereine im DWV organisieren sollten. Der Verband trägt dann die Verantwortung, Judgingkriterien zu entwickeln, Judges aus zu bilden und mit anderen europäischen Verbänden zu einem halbwegs einheitlichen System zu kommen. Verbands- und Vereinstrukturen sind wichtig, um an den „Fördermillionen“ die jährlich für Sportförderungen in Europa ausgegeben werden teil zu haben. Als Verterter*innen von klassischen „Fun- und Individualsportarten“ tendieren wir zu oft dazu solchen Strukturen aus dem Weg zu gehen. Aber Vereine und Verbände sind am Ende das, was wir selbst draus machen.
Fakt ist, das jede Leichtathletikanlage, jede Handballhalle usw. mit Millionen gefördert werden. In der Regel mit 40% bis zu 60% der Gesamtkosten! Mit einer anerkannten Vereins- und Verbandstruktur sollte es möglich sein, auch Flusswellen als „Sportstätten“ mit Millionenbeträgen zu fördern. Dadurch würde in der Zukunft das Realisieren von Flusswellen deutlich einfach werden. Statt Energie und Geld in „europäische Contesttouren“ zu investieren, ist es meiner festen Überzeugung nach im Moment die wichtigste Aufgabe der schon existierenden Vereine und Verbände Jugendarbeit und Leistungsstrukturen zu entwickeln, die mit anderen Sportarten vergleichbar sind. Dann wird sich die Wahrnehmung in der Sportförderung ändern.
Bisher wird ein Flusswellenprojekt als eine Art „Spielplatz für Erwachsene“ gesehen. So wie früher auch Skateplätze als „Spielplätze“ angesehen und daher nicht in der Sportförderung integriert waren. Heute sind Skateplätze – dank Skaten als olympische Sportart – für Vereine mit den Sportstättenrichtlinien förderfähig! Wir müssen dahin kommen, das Flusswellen wie ein Handballplatz als Sportstätte betrachtet und damit förderfähig werden. Dafür muss es in den Landessportbünden eine Wahrnehmung des „Rapid Surfens“ als „Sport“ geben. Eine Vergleichbarkeit zu anderen Sportvereinsstrukturen muss erkennbar sein. Das ist – meiner Meinung nach – die wichtigste Herausforderung für „die Surfcommunity“!
Es sollte sich viel mehr Surfvereine gründen, einem Landessportbund beitreten, Jugendarbeit machen und entsprechend Förderungen beantragen. Dann wird eine Förderung für den Bau einer Sportstätte auch irgendwann möglich sein. Organisiert Euch als Verein! Auch an einer Pumpwelle oder dort, wo ihr gerne mal eine Welle hättet! Macht Jugendarbeit, Leistungstrainings und beantragt dafür bei Euren Landessportbünden Zuschüsse (mit denen Ihr dann z. B. an den kommerziellen Wellen Jugendarbeit subventionieren könnt! Macht eine Vereinsmeisterschaft und beantragt auch dafür Zuschüsse! Landesmeisterschaften, Nationalmeisterschaften, europäische Meisterschaften, Weltmeisterschaften – alle das entwickelt sich dann später mehr oder weniger automatisch. Im Moment ist es die Zeit, in der wir für mehr vereinsbetriebene Flusswellen sorgen müssen! Mehr Wellen braucht das Land!
Photo: DWV&Inshore | Rider Nicolas Maruso | Leinewelle
6. Wie siehst du die aktuelle Stimmung in der Schweizer/Norddeutschen Flussurfszene für eine europäische Tour? Wie diskutiert ihr in eurem Verband/Verein darüber?
Sandro: In der Szene ist es wohl eher eine Generationenfrage. Die gestandenere Generation hat wohl weniger Interesse an grösseren Tours und interessiert sich mehr für das Lokale. Die Young Guns, die talentiert sind und international Chancen haben hingegen, sind hungrig auf solche Visionen. Im Verband sind wir offen für diese Kooperationen.
Heiko: Wie oben beschrieben, ist unsere erst vor einem Jahr gestartete „Flusssurfszene“ in Hannover noch ganz am Anfang. Wir sind zwar Gastgeber für die RSL, aber für unsere „Szene“ werden wir ganz bewusst unser „eigenes Süppchen kochen“. Eine erste kleine Vereinsmeisterschaft, aber vor allem gemeinsame „Tricksessions“ und „Jugendsessions“. Also etwas, bei dem sich engagierte Menschen im Verein gegenseitig coachen und pushen. Aktuell sehe ich für unsere Community weder die Notwendigkeit für, noch Menschen die auf einer „europäischen Tour“ surfen würden. Sicherlich gibt es den Einen oder die Eine, die vielleicht nach Prag, oder nach Ebensee zum Contest fahren würde. Derzeit aber eher um die Welle dort zu sehen und den Contest zu erleben und nicht um tatsächlich „im Contest mit zu surfen“. Daher sehe ich keine Energie und kein Geld die unser Verein oder Menschen aus unserem Verein aktuell in den Aufbau einer „europäischen Tour“ stecken würden.
Photo: Sandro – River Surfing Thun
7. Welche Tourstopps in Europa würdest du dir für eine gemeinsame Flusssurftour wünschen?
Sandro: Hier sollten möglichst alle Wellen mitmachen, die es gibt. Das erweitert sich ja ständig. Allerdings sind die Events immer mit viel Aufwand verbunden und es braucht eine aufgeschlossene, ressourcenkräftige lokale Community, die die Organisation mit Herzblut übernimmt. Wenn ein internationales “Gremium” einem Spot einen solchen Event “überstülpt”, fehlt oft der Rückhalt vor Ort – die Initiative muss von den Wurzeln kommen.
Heiko: Vor einer Europa Tour Utopie würde ich mir vor allem mehr vereinsbetriebenen Wellen in Europa wünschen! Wenn es in jedem Land mehr Wellenprojekte geben würde, in denen Menschen niederschwellig, also mit möglichst wenig finanziellem Aufwand, den Sport ausüben können, dann wird es früher oder später an vielen Spots Talente und dann automatisch den Wunsch nach “Contest“ geben. Aktuell gibt es in Europa mehr Pumpwellen als natürliche oder halbnatürliche Wellen. An den Pumpwellen sind die Kosten so hoch, dass die sich „Talente“ vor allem aus dem Menschen die dort arbeiten oder sehr wohlhabenden Elternhäusern rekrutieren. Man sagt ja, dass ein Mensch ca. 1.000 Stunden üben muss, um als „Talent“ zu gelten. Daher ist es kein Wunder, dass sich an kostenlosen Surfspots wie in München eher Talente finden, als an kostenintensiven Surfspots. Was wir brauchen sind mehr kostengünstige, vereinsbetriebene Flusswellen und nicht mehr Veranstaltungen.