Eisbach Surfers Fight for Their Right to Surf
Münchner Surfer verfassten einen Brief an den Oberbürgermeister und sammelten 3.600 Unterschriften innerhalb von 24 Stunden. Sie fordern eine Freigabe der berühmten Welle.
Seit Ende April ist der Zugang zur berühmten Eisbachwelle in München durch Zäune versperrt. Schilder weisen darauf hin, dass Surfen dort bis auf Weiteres verboten ist. Strafen in einer Höhe von bis zu 50.000 Euro können bei Zuwiderhandlung verhangen werden.
Vorangegangen war ein tödlicher Unfall einer Surferin. Ihre Leash hatte sich am Grund verhangen. Das Wasser wurde nach dem Unfall abgelassen und die Polizei suchte den Grund nach der Ursache ab. Gefunden wurde nichts. Dennoch ist das Surfen seitdem dort verboten.
Wir haben zu diesem Thema ein fiktives Interview mit einem Eisbach-Pioneer geführt (*). Wir sprechen darin über Localism, Regulation und Leashes. Für dieses Gespräch nennen wir unseren fiktiven Interviewpartner “W”. Das ist nicht sein echter Name.
Warum surfst du, solange ich dich kenne, schon immer ohne Leash am Eisbach?
Kumpels von mir waren hängen geblieben, aber konnten sich selbst befreien. Dies hatte mich dazu bewogen, seitdem ohne Leash zu surfen. Schau mal da kommen heutzutage Leute zum Eisbach, die können kein 50 Meter joggen. Diese Leute haben Angst, dass sie ohne Leash ihrem Surfbrett nicht nachschwimmen können. Ich kann schwimmen und habe mein Surfbrett noch jedes Mal erwischt. Weitere Vorteile sind für mich eine höhere Geschwindigkeit auf der Welle ohne Leash. So eine Leash ist ja auch ein Bremsklotz, den du durchs Wasser schleifst.
Wann hast du am Eisbach angefangen zu surfen?
Anfang der 90er Jahre. Da gab es die Balken am Eisbach noch gar nicht. Ab einem bestimmten Wasserstand im Bach war das gesamte Becken, wo wir heutzutage anstehen überflutet und Kehrwasser hat die Welle zusammenbrechen lassen. Die Welle war deshalb nur an 100 Tagen im Jahr surfbar. Die restlichen Tage war nur Weißwasserchaos.
Wie war euer Sicherheitsbewusstsein am Eisbach in den Anfangsjahren? Welche Sicherheitsvorkehrungen hattet ihr damals vorgenommen?
Ehrlich gesagt keine. Wir haben uns in Surfshops wie dem Blue Wave von Didi Wallauer handelsübliche Leashes fürs Meer gekauft. Am Meer willst du, dass deine Leash bombensicher hält wenn du gewaschen wirst. Du willst nicht deinem Surfboard, wenn die Leash reißt gegen die Strömung hinterherschwimmen müssen. Vor allem nicht, wenn du an Spots 200 Meter entfernt von der Küste mitten im Ozean bist. Irgendwann später haben wir kapiert, dass wir unsere Leashes für den Fluss präparieren müssen. Am Fluss ist es kein Problem sein Surfboard zu verlieren, falls die Leash reißt. Wer schwimmen kann, erwischt es auch wieder. Damals hatten wir angefangen unsere Leashes mit Kabelbindern zu manipulieren oder ohne Leash zu surfen.
Welche beinahe Unfälle mit Leashes hattest du in deinen Jahrzehnten am Bach erlebt?
Es waren nicht viele. Und zum Glück sind alle gut ausgegangen und niemand war bisher ertrunken. Wenn die Leute am Rand hängengeblieben waren, konnten wir anderen sie vom Ufer weg aus der Strömung ziehen. Diejenigen, welche mit Kabelbinder präparierte Leashes hatten, waren nach einigen Sekunden sowieso gerissen. Im Film Keep Surfing erzählt einer der Surfer wie er seine Tochter rauszieht. Man muss aber wissen, dass sich die Szene an der Floßlände abgespielt hatte. Der Regisseur des Filmes hatte sich entschieden, ihn im Nachgang von seiner Rettungsaktion am Eisbach erzählen zu lassen. Dadurch entstand das Bild, diese Rettungsaktion hätte sich am Eisbach zugetragen. An der Floßlände ist eine Rettungsaktion leichter, weil dort das Wasser nur hüfthoch ist. Jedes Mal, wenn ein Schwimmer am Eisbach gestorben war, druckten die Zeitungen Bilder von uns Surfern. Dies hat zu einem verzerrten Bild in der Öffentlichkeit geführt.
Du bist immer als gutes Vorbild, der ohne Leash surfte vorangeschritten. Konntest du durch deine Vorbildfunktion andere Surfer animieren dir in diesem Punkt nachzufolgen?
Ja, einige wenige schon. Ich möchte jetzt hier keine Namen nennen, weil ich nicht weiß, ob ihnen dies recht ist. So viel sei aber gesagt. Einer der berühmtesten Surfer ohne Leash am Eisbach hat eine tragende Filmrolle in Keep Surfing gespielt. Er war derjenige der mit Aerials am Eisbach in den 90er Jahren angefangen hatte. Ich denke für seine hohen Sprünge hat es ihm geholfen, ohne Leash als Bremsklotz genug Speed aufbauen zu können.
Ich hatte dich nie als Missionar erlebt, der andere überzeugen wollte, ohne Leash zu surfen. Inwieweit teilst du meinen Eindruck?
In den 90er Jahren konnten wir unten im Becken unsere Regeln durchsetzen. Es gab keine Handykameras und kein Social Media. Niemand hatte uns angezeigt, wenn wir den Eisbach reguliert hatten. Als du mich nach der Jahrtausendwende kennen lerntest, war ich altersmilder geworden. Du kannst vielleicht auf 100 Leute einwirken. Bei 1.000 Leuten bist du machtlos. Ich hatte irgendwann resigniert.
Warum denkst du, hatte sich dein Vorbild ohne Leash zu surfen, bei der Mehrheit der Eisbach-Surfer bisher nicht durchgesetzt?
Faulheit dem Brett hinter herzuschwimmen und die Angst, das Brett öfters reparieren zu müssen, wenn es in der Walze hängen bleibt und von dort gegen die Wände geschleudert wird – denke ich sind Gründe für manche Surfer. Und dann ist da der Lemming-Effekt. Anfänger sehen 99% der etablierteren Eisbachsurfer mit Leash und machen dies unreflektiert nach. In den 90er Jahren war es für uns auch kein Problem zu surfen, wenn hinter uns ein Brett des Vorgängers noch in der Walze hing. Wir waren sichere Surfer, die keine Angst hatten, mit dem Brett des Vorgängers zu kollidieren. Heutzutage hat die Hälfte der Eisbachsurfer Angst zu surfen, wenn ein Brett hinter Ihnen in der Walze hängt. Weil sie selbst nicht die Fähigkeit besitzen, kontrolliert zu surfen und selbstbestimmt die Welle zu verlassen. Sie sind ihrem Schicksal ausgeliefert, wenn sie ins Wasser fallen. Das lässt sie beim Einstieg zaudern, wenn ein Brett in der Walze hängt. Dann warten sie – was wiederum zu Frust und schlechter Stimmung bei allen Surfern führt. Würde die aktuelle Generation ihre Hausaufgaben machen und vernünftig auf anderen Flusswellen den Sport erlernen, hätten wir dieses Problem nicht.
Was ist deine Meinung zu präparierten Leashes?
Alles besser als mit einer handelsüblichen Leash fürs Surfen am Meer. Aber solange wir Locals mit Leash surfen, werden Anfänger dies nachmachen. Und der Anfänger sieht nicht ob die Leash von uns Locals präpariert ist. Er wird sich eine handelsübliche Leash kaufen und denken er macht nichts falsch, weil er es so bei den Locals gesehen hat. Es sind zu viele Surfer heutzutage am Eisbach als das wir sie alle aufklären können. Deshalb möchte ich gerne den Lemming-Effekt nutzen . Wenn 99 % der Locals ohne Leash surfen würden, werden Anfänger unserem Vorbild folgen. Wenn Anfänger keine Leash hernehmen, können sie nichts falsch machen.
Welche Art von Selbstregulierung durch Locals findest du für einen Spot wie den Eisbach sinnvoll?
Hey wir hatten die Welle plattgemacht, als Kelly Slater dort surfen wollte. Kleine Modifikationen und aus einer grünen Welle wird eine Weißwasser Walze. Nur weil du Kelly Slater bist, heißt dies nicht, dass du Flusssurfen kannst. Was ist denn das Gegenteil von Regulation durch Locals? Junggesellenabschiede mit reichlich Alkohol und der Bräutigam muss als vollkommen unsportlicher Mensch probieren, die Eisbachwelle zu reiten, obwohl er im echten Leben ein Bürohengst ist.
Tik Tok Challenge, Nacktsurfen im Winter. Kommerzielle Surfschule am Eisbach. Kindergeburtstage am Eisbach und die lieben Kleinen werden mit Schwimmflügel in die Welle gehoben.
Wieweit hat die Eisbach-Szene die Gefahr in der jüngsten Vergangenheit vor dem aktuellen Unfall ernst genommen?
Leider viel zu wenig. Die Selbstregulation funktioniert seit ca. 5 Jahren nicht mehr. Als der Surfverein IGSM vor 10 Jahren gegründet wurde, hatte der damalige Vorsitzende die Selbstregulation sehr ernst genommen und praktiziert. Seine Nachfolger leider nicht mehr. Der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf. Deshalb findest du heute fast keinen Surfer mehr, der noch Selbstregulation praktiziert. Weil es die Vorstände auch nicht tun.
Gibt es etwas, was du der aktuellen Eisbach-Szene als “Elder Statesman” gerne mit auf den Weg geben würdest?
Selbstregulation ernst nehmen. Auch wenn man sich dafür zum Buhmann machen muss. Nur weil du von allen gemocht werden willst, bringt dir das die Eisbach-Welle nicht zurück. Ohne Leash als gutes Vorbild vorangehen. Nicht spalten lassen. Nur weil irgendwer sich bei Instagram “Wellenreitverband” nennt, hat diese Person noch lange keine Legitimation. Legitimation erwirbst du dir durch deine Jahre an der Welle und dein Können am Brett. Folgt dieser Person nicht bei Instagram und gebt ihr keine Bühne. Einfach ignorieren. Leute die Scheindebatten führen und sich als “Eisbachretter” inszenieren, instrumentalisieren das Thema, ohne dass sie Lösungen schaffen.
Hattest du beim Nightsurfen eine Leash benutzt?
Gute Frage. Nightsurfen ohne Leash birgt natürlich die Gefahr, das Brett zu verlieren. Wer will, kann sein Brett elektrifizieren mit Licht. Wenn 99% der Locals – ob bei Tag oder Nacht – ohne Leash surfen, würde sich die Problematik mit Anfängern in der Nacht nicht ergeben. Nur wer das Vertrauen in seine surferischen Fähigkeiten hat, dass Brett sehr schnell zu erwischen, würde dann noch des Nachts surfen gehen.
Der aktuelle Unfall am Eisbach hat ein riesengroßes Medienecho erzeugt. Wie ordnest du dies ein?
1,5 Millionen Zuschauer zieht der Eisbach jährlich an. Er ist eine von Bayerns Top 5 Touristenattraktionen. Alle lieben diesen Ort. Es ist schön zu sehen, welchen großen Rückhalt dieser Ort in der Bevölkerung besitzt. Bei der Unterschriftenaktion vor 18 Jahren zur “Rettung der Eisbachwelle” wurden 30.000 Unterstützer gefunden. Es fühlt sich so an, als ob eine kleine Provinzband riesengroße ausverkaufte Hallen bei Konzerten füllen würde.
Welche Strategie würdest du der Politik und den Surfern im Umgang mit Unfällen am Eisbach empfehlen?
Die Politik soll neue Flusswellen bauen. Nicht jeder Surfer will am Eisbach surfen. Wenn es Alternativen zum Eisbach gibt, können dort Unfälle vermieden werden.
Unterschreibt alle den offenen Brief an den Bürgermeister.
Hier ist der Brief:
https://drive.google.com/file/d/1ZRYdySsNspcZS0zvI1CIWUXEeo_0HX8C/view?usp=drivesdk
Und hier könnt ihr unterschreiben:
https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSd6IDUQcZvfJac1CpBrskku8P1YQ6mivKZvR3oJXz8dsXKilw/viewform
Werdet aktive Mitglieder beim Münchner Surfverein IGSM. Bei der letzten Mitgliederversammlung waren 20 Personen da. Dies ist ein Armutszeugnis für einen Verein mit über 700 Mitgliedern.
Es gibt jetzt seit 25 Jahren Münchner Surfvereine, welche die Belange der Flusssurfer gegenüber der Politik vertreten. Verschiedene Vereinsvorstände prägten das Amt durch ihre Prioritätensetzung. Was sind für dich die aktuellen Hauptakzente, welche der Münchner Surfverein priorisieren muss?
Das Schweigen der IGSM halte ich für einen Fehler. Der Münchner Surfverein IGSM hat sich vor zwei Jahren von der Stadt München in eine ungünstige Verhandlungsposition drängen lassen. Damals wurde er aufgefordert, die Betreiberrolle für die Floßlände zu übernehmen. Nachdem er sich auf diesen Deal eingelassen hatte, ist er jetzt noch abhängiger von der Stadtverwaltung. Jetzt traut er sich nicht die Stadtverwaltung wegen dem Eisbachverbot zu kritisieren. Deshalb wäre es wichtig, dass der Surfverein die Betreiberschaft für die Floßlände kündigt. Nur so hätte er jetzt die Möglichkeit unabhängig und ohne Angst die Stadt zu kritisieren.
Ich meine, die Mehrheit der Münchner Surfer war bisher am Eisbach anzutreffen. Nur um wegen einer Minderheit, die an der Flosslände surft, die Stadtverwaltung nicht zu verärgern, halte ich für undemokratisch. Erste Auswüchse sind, dass der Surfverein die Kommentarfunktion auf seiner Instagram Seite (teilweise) deaktiviert hat. Es geht nicht darum, die Nutzer der einzelnen Wellen gegeneinander auszuspielen. Aber wenn sich ein Surfverein mehr als untergeordnete Behörde der Stadtverwaltung definiert, welche ihren Vorgesetzten nicht kritisiert, haben wir ein Problem. Der Surfverein muss wieder ein Lobbyverein werden, der sich selbst keine Maulkörbe gibt.
Sollten deiner Meinung nach zukünftige Vereinsvorstände Eisbachsurfer sein und ein Standing in der Szene am Bach haben?
Unbedingt. Die Selbstregulierung hat 10 Jahre gut funktioniert, als der erste Vereinsvorsitzende aktiver Eisbachsurfer war. Der nächste Vorsitzende braucht unbedingt wieder ein Standing am Eisbach. Nur so kann er mit guter Vorbildfunktion vorangehen. Es hat niemand gesagt, dass dieses Amt leicht zu bewältigen ist. Es reicht dafür nicht nur Beach-Cleanups und Surfboard-Flohmärkte zu veranstalten. Dinge, die alle gut finden. Dieses Amt bringt es mit sich, dass man auch mal polarisiert und unbequeme Wahrheiten aussprechen muss. “Everybodys Darling ist Everybodys Depp”. Wir brauchen einen zukünftigen Vorsitzenden mit Ecken und Kanten. Er muss nach Aussen aber auch nach Innen in die Szene unbequem wirken. Jemanden der auch mal ruppig ist. Genauso wie es die Eisbachwelle auch ist.
Für den Worstcase wenn der Eisbach gesperrt bleibt. Wie kann ein Leben ohne Eisbachsurfen funktionieren?
Hm, vielleicht Didgeridoos bauen. Sardinien soll auch gute Wellen haben.
* Dieses Interview ist rein fiktiv und hat so niemals stattgefunden. Die fiktive Interviewform dient der kreativen Wiedergabe unterschiedlicher Sichtweisen auf die vielfältigen Themen des Eisbachsurfens.